Frühe Flugversuche
Als militärisches Aufmarsch- und Übungsgelände wird das Tempelhofer Feld Schauplatz früher Flugversuche, an denen auch das Berliner Publikum mit Enthusiasmus und großer Begeisterung teilnimmt.
Die Ballonfahrt erweist ihren militärischen Nutzen
Nach ihrer Erfahrung während der Belagerung von Paris beginnen die preußischen Militärs gegen Ende des 19. Jahrhunderts, sich für die Luftfahrt zu interessieren. Ab Ende 1870 hatten Gasballons als eine Art Luftbrücke gedient, über die 9 Tonnen Post und 155 Menschen aus der Stadt ausgeflogen wurden. 99 Jahre nach der ersten Berliner Ballonfahrt werden 1884 durch das preußische Heer 4 Offiziere, 4 Unteroffiziere, 1 ziviler Ballonführer und 29 Soldaten des Preußischen Eisenbahn-Regiments Nr. 1 in das neue „Ballon-Detachement“ abkommandiert, das in Schöneberg am westlichen Rand des Tempelhofer Feldes stationiert ist. Dem „Ballon-Detachement“ angegliedert ist eine Luftschiffer-Versuchsabteilung unter anderem für die Entwicklung von Fesselballons. 1887 in eine „Luftschiffer-Abteilung“ umgewandelt, soll die Einheit vor allem Aufklärungs- und Beobachtungsfunktionen übernehmen. Für die Erforschung und Erprobung der Luft- und Ballonfahrt wird auf dem Tempelhofer Feld – nun auch Übungs- und Vorführgelände für Flugversuche – eine Ballonhalle aus Wellblech errichtet. Als billiges und einfach herzustellendes Füllmittel für die vorwiegend kugel- und zigarrenförmigen Drachenballons dient nunmehr Leuchtgas. Mit zunehmender Bedeutung der Ballonfahrt wird die Luftschiffer-Abteilung auf Bataillonsstärke vergrößert und nach Tegel auf den Artillerie-Schießplatz verlegt. Personal: 13 Offiziere, 1 Arzt, 3 Beamte, 43 Unteroffiziere, 289 Mann, 4 Ökonomie-Handwerker; 28 Pferde. Die Ballonfahrerei als reine Volksbelustigung gehört erst einmal der Vergangenheit an.
Aufstieg im Dienste der Wissenschaft
In den 1890er Jahren machen Mitglieder des Deutschen Vereins zur Förderung der Luftfahrt, gegründet 1881 in Berlin, mit spektakulären Auffahrten von sich reden – auch wenn ihr erster Ballon „Humboldt“ unter einem „Unstern“ steht, wie der Initiator des Projekts feststellen muss. Der Ballon wurde von der Firma Continental in Hannover gefertigt und mit 12 000 Mark aus dem Dispositionsfonds des Kaisers erworben. Am 1. März 1893 startet er vom Tempelhofer Feld in Anwesenheit seiner Majestät zum Jungfernflug, explodiert nur zwei Monate später während der Landung und verbrennt. Menschen kommen nicht zu Schaden.
Doch namhafte Professoren und Doktoren des Königlichen Meteorologischen Instituts lassen sich davon nicht abhalten und nutzen die Ballonfahrt für Reihenmessungen zu Luftdruck, Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit in steigender Höhe. Sie wollen die Lufthülle erforschen. Mit Unterstützung des Luftschiffer-Leutnants Hans Groß unternehmen sie insgesamt 75 wissenschaftliche Auffahrten.
Auf dem Weg zum Lenkballon
Im beginnenden 20. Jahrhundert stärken internationale Ballonwettfahrten das allgemeine Interesse an der sich entwickelnden Luftfahrt. 1905 lobt der amerikanische Verleger James Gordon Bennet einen Preis für Weitfahrten aus; schon 1908 kommt das Rennen nach Berlin. Auf dem Tempelhofer Feld sammeln sich unzählige Zuschauer, die von dort kostenlos die beste Sicht auf den Massenstart genießen. 23 Ballons aus acht Ländern gehen an den Start, die Schmargendorfer Gasanstalt stellt 22.000 m³ Gas bereit. Das Preisgeld von 125.000 Franken erhält der Schweizer Oberst Schaeck, der im Ballon „Helvetica“ in 73 Stunden über 1200 km bis nach Norwegen fliegt.
Dieses Ziel hatte Schaeck nicht gewählt; der Wind bestimmte die Richtung seines steuerlosen Ballons. Das war die große Beschränkung der Ballonluftfahrt, gegen die mehrere Luftschiffer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit erfolgversprechenden Versuchen angingen.
Zu ihnen gehören die Arbeiten von Georg Baumgarten und Dr. Hermann Wölfert, die 1882 in Berlin das erste lenkbare Flügelluftschiff vorstellen. Zur Großen Berliner Gewerbe-Ausstellung von 1896 kommt Wölfert mit dem lenkbaren Aerostaten „Deutschland“ nach Treptow, wo er einige Probeaufstiege im noch gefesselten Ballon absolviert. Das preußische Kriegsministerium erteilt ihm die Erlaubnis zur Nutzung der Ballonhalle und zu weiteren Experimenten auf dem Tempelhofer Feld.
Unterstützt vom Kommando der Luftschiffer–Abteilung findet im März 1897 eine Freifahrt von 25 Minuten statt. Ein Vierteljahr später will Wölfert beweisen, dass sein Motorballon wirklich lenkbar ist. Am 12. Juni 1897 startet er mit dem jungen Mechaniker Robert Knabe das Luftschiff. Viele geladene Gäste, darunter Gesandte verschiedener Länder, wohnen der Demonstration bei. Ankaufsverhandlungen an der Erfindung sind für den Fall des Erfolgs bereits angebahnt worden. Tausende Zuschauer warten neugierig auf den Start. Der erste Aufstieg missglückt. Im zweiten Anlauf steigt der 28 Meter lange Lenkballon mit Hilfe seines 8 PS starken Motors auf etwa 200 Meter. Da beginnt plötzlich das schwenkbare Seitenruder zu flattern. Offensichtlich ist es beschädigt und kann seine Funktion nicht erfüllen. Wölfert aber steuert weiter in südlicher Richtung, als eine Flamme aus dem Motor zum Ballon hin schlägt. Das Luftschiff explodiert mit dumpfem Knall, Ballon und Gondel stürzen brennend an der Ringbahnstraße zu Boden, die beiden Insassen sind sofort tot. Wölfert hatte entgegen dringlicher Warnungen in der Gondel mit einer offenen Flamme hantiert.
Im Spätherbst desselben Jahres folgt eine weitere spektakuläre Auffahrt vom Tempelhofer Feld. Das von David Schwarz entwickelte Luftschiff ist viermal so groß wie der Wölfert‘sche Lenkballon und in starrer Bauweise hergestellt. Alle Teile sind aus Aluminium gefertigt: der Trägerrahmen in Form einer Gitterkonstruktion, Außenhaut, Gondel, Steuerschraube und Antriebspropeller. Das Balloninnere ist in mehrere Schotten unterteilt, in die das Gas nacheinander eingebracht wird. Der 38 Meter lange, ebenfalls zylindrisch geformte Metallballon ist vorn kegelförmig, hinten stumpf abgerundet; eine völlig neue Konstruktion. Ein Daimler-Motor mit 16 PS treibt über Riemen die drei Schraubenpropeller an.
Das Ganzmetall-Luftschiff wird von Ernst Jagels in Berlin vorgestellt, einem in der Luftfahrt unerfahrenen Mechaniker und Maschinenbauer. Am 3. November setzt er in Gegenwart zahlreicher Gäste, darunter sind erneut auch hohe Militärs, den Motor in Gang und kommt gegen einen frischen Ostwind auch tatsächlich voran, als plötzlich das Steuersystem ausfällt. Das Luftschiff treibt nach Westen ab, verliert schnell an Höhe, schlägt auf den Boden, bleibt hängen, die luftdicht vernietete Aluminium-Wandung platzt auf, Gas entweicht, die Gondel nimmt Schaden, das Versteifungsgerüst knickt. Das ist das Aus. Es findet sich kein neuer Geldgeber mehr.
Doch das Schwarz‘sche Bauprinzip des starren, in einzelne Zellen unterteilten Tragkörpers setzt sich durch. Unter den Beobachtern des Aufstiegs auf dem Tempelhofer Feld ist ein Mann, der die Idee weiterverfolgen wird: Ferdinand Graf von Zeppelin.
St. Endlich, M. Geyler-von Bernus, B. Rossié
Literatur
Bezirksamt Tempelhof von Berlin (Hrsg.), Landing on Tempelhof. 75 Jahre Zentralflughafen – 50 Jahre Luftbrücke, Ausstellungskatalog, Berlin o. J. (1998)
Bezirksamt Tempelhof (Hrsg.), Der Traum vom Fliegen. Faszination zwischen Kunst und Technik, Berlin 1987
Frank Schmitz, Flughafen Tempelhof. Berlins Tor zur Welt, Berlin 1997
Werner Schwipps, Riesenzigarren und fliegende Kisten. Bilder aus der Frühzeit der Luftfahrt in Berlin, Schriftenreihe des Museums für Verkehr und Technik, Berlin 1984