Zivile Luftfahrt
Durch die Aufrüstung im Ersten Weltkrieg nimmt der Motorflug eine rasante Entwicklung und bringt den entscheidenden Fortschritt für die Zivilluftfahrt. Die langsamen und kostspieligen Luftschiffe halten damit nicht Schritt. Nur für Transatlantikflüge werden sie noch sinnvoll eingesetzt, bis die Ära der großen Zeppeline 1937 mit dem Unglück des LZ 129 »Hindenburg« in New York endet. Tempelhof nimmt an diesem Kapitel der Luftfahrtgeschichte ab 1923 mit der Eröffnung des „Flughafens Tempelhofer Feld“ kontinuierlich teil.
Ein „Luft-Zug“ über Berlin
Zwei Jahre nach der Demonstration des Schwarz’schen Ganzmetall-Luftschiffs stellt Ferdinand Graf von Zeppelin 1898 seine eigene Entwicklung vor. Erbauer und Konstrukteur ist Carl Berg, mit dem bereits David Schwarz gearbeitet hat. Durch die Gerüstkonstruktion im Innern des zylindrischen Ballons lassen sich die Motorgondeln nicht mehr wie bisher nur an der Führergondel, sondern an beliebigen Stellen des Rumpfes anbringen. Das steigert die Leistungsfähigkeit der Starrluftschiffe erheblich, die Graf Zeppelin nun LZ, »Luft-Züge« nennt.
LZ 1 startet am 2. Juli 1900 vom Bodensee zur Jungfernfahrt. Der mit Mitteln der preußischen Heeresleitung finanzierte LZ 4 soll nach den Auflagen der Geldgeber bereits eine 24-Stunden-Fahrt nach Mainz unternehmen, 1200 Meter Höhe erreichen und auf festem Boden landen. Bei dieser Fahrt muss LZ 4 wegen Gasverlust und Motorenausfall zwischenlanden, gerät während der Zwangspause in Brand und wird völlig zerstört. Das Unglück setzt eine Welle der Hilfsbereitschaft in Gang; mehr als sechs Millionen Mark werden gespendet, mit denen Zeppelin seine Arbeit fortsetzen kann. Mit LZ 6 stattet der Graf dem Deutschen Reich seinen Dank für die großzügige Unterstützung ab. Am 29. August 1909 erscheint das 136 Meter lange Luftschiff, von zwei Daimler-Benz-Motoren mit je 115 PS angetrieben, nach dreitägiger Fahrt am Himmel über Berlin. In nur 100 Metern Höhe zieht das Luftschiff eine halbe Stunde über das Tempelhofer Feld, auf dem Kaiser Wilhelm II. und rund 300.000 Berlinerinnen und Berliner erschienen sind.
Mit LZ 6 ist der Durchbruch geschafft. Während er umgebaut, auf 144 Meter Länge gebracht und 1910 zur Internationalen „Luftschiffahrt-Ausstellung“ (ILA) in Frankfurt/Main geflogen wird, werden bereits Militäraufträge avisiert. Auch die Aufnahme des Passagierverkehrs mit „Zeppelinen“ ist projektiert. „Luft-Zug“ 11 von 1912 ist 148 m lang und legt 80 km pro Stunde zurück. Er wird im Ersten Weltkrieg als Aufklärer und sogar als Bomber eingesetzt, kommt aber auch als Passagiermaschinen der ersten Luftverkehrsgesellschaft der Welt zum Einsatz: der „Deutschen Luftschiffahrts Aktiengesellschaft“ mit Sitz in Frankfurt am Main.
„Dynamische Flugmaschinen“ verstören den Kaiser
Anders als der Schweizer Maler Arnold Böcklin, der seinen Gleitflugapparat 1883 auf dem Tempelhofer Feld vorstellt, arbeitet Otto Lilienthal, Maschinenbau-Ingenieur, Fabrikant und „Vater der Flugtechnik“, nie auf dem Tempelhofer Areal. Das flache Gelände ist für seine Zwecke nicht geeignet, weil er zu seinen „persönlichen Kunstflügen“ von einer Erhöhung starten muss. Sein Bruder Gustav dagegen probt dort – nach Otto Lilienthals Fliegertod 1896 – noch mehr als 20 Jahre ergebnislos mit Schlagflügelapparaten, mit denen er nach Art der Vögel in den Vorwärtsflug zu kommen hofft.
Den Erfolg an der Auswertung von Otto Lilienthals sorgfältig dokumentierten Vorarbeiten und seinen planmäßig durchgeführten Flugversuchen tragen derweil andere davon. Anfang des 20. Jahrhunderts reüssieren die Gebrüder Wright in Dayton (Ohio, USA) mit motorisierten „Kastendrachen“, mit denen sie die Orientierung am Vogelflug endgültig aufgeben und eine neue Richtung einschlagen.
Nur fünf Tage nach dem Berlin-Besuch des Grafen Zeppelin im LZ 6 erleben 150.000 Zuschauer auf dem Tempelhofer Feld eine weitere Luftfahrt-Sensation: Orville Wright startet sein „Aeroplan“ und dreht mit 50 bis 60 Stundenkilometern acht Runden über dem Militärgelände. Der Chef des Großen Generalstabs Graf von Moltke ist beeindruckt; der Kaiser kann sich dagegen nicht entscheiden, einer von Wrights Flug-Demonstrationen in Berlin persönlich beizuwohnen. Noch ist die Frage, ob die Zukunft den steuerbaren Ballons oder den Motorfluggeräten gehört, im Deutschen Reich nicht endgültig entschieden – zumal die jüngsten Entwicklungen der „dynamischen Flugmaschinen“ nicht aus Deutschland kommen.
Neben den Brüdern Wright machen auch die französischen Aviatiker unter anderem durch die Überquerung des Ärmelkanals international von sich reden. Vom 23. bis 27. September 1909 wirbt Hubert Latham aus Frankreich mit seinen Flügen über dem Tempelhofer Feld für das Kaufhaus Wertheim und steigt unversehens in die Reihe der örtlichen Flugpioniere auf. Um an einem Wettbewerb im zehn Kilometer entfernten Johannisthal teilzunehmen, die Montage- und Transportkosten für seine „Antoinette“ aber zu sparen, fliegt er die Strecke und beschert der preußischen Hauptstadt mit diesem „Überlandflug“ die dritte Luftfahrt-Sensation des Jahres 1909.
Einen Tag nach der Eröffnung des ersten deutschen Flughafens in Johannisthal bei Treptow gehört die Ära der eingezäunten Flugfelder durch Lathams Aktion der Vergangenheit an. Johannisthal ist der neue Anziehungspunkt für das flugbegeisterte Publikum und macht dem Tempelhofer Feld vorübergehend diesen Rang streitig; denn das Feld wird nach wie vor militärisch genutzt und nur von Fall zu Fall für Flugveranstaltungen freigegeben.
Der weltweit erste Linienflug für die Demokratie
Während des Ersten Weltkriegs kommen erstmals Flugzeuge in Kampfhandlungen zum Einsatz. Mehr als ein Viertel der deutschen Militärmaschinen, die zwischen 1914 und 1918 hergestellt werden, kommen aus Johannisthal. Dort siedeln sich Produktionsfirmen an wie die Rumpler-Werke GmbH, die Dorner Flugzeug GmbH und die Fokker Flugzeugwerke, die Deutschland mit der Entwicklung ihrer Eindecker EI bis EIV die Überlegenheit im Luftkrieg einbringen. Am Ende des Krieges sind in der Regel Doppeldecker im militärischen Einsatz und nun auch für rasche Manöver ausgelegt. Mit zwei synchronisierten, nach vorn feuernden Maschinengewehren ausgerüstet, erreichen sie Geschwindigkeiten von bis zu 200 Kilometern pro Stunde und haben ihren Status als Objekte von Tüftlern, Bastlern, Sonderlingen endgültig verloren.
Schon ein Jahr vor Kriegsende beginnt die neu gegründete „Deutsche Luft-Reederei GmbH“ (DLR) mit der Vorbereitung eines regelmäßigen kommerziellen Liniendienstes. Zwei Jahre später, anlässlich der Eröffnung der Weimarer Nationalversammlung, richtet sie am 5. Februar 1919 mit je zwei Hin- und Rückflügen pro Tag zwischen Berlin und Weimar den weltweit ersten Linienflug ein. Die umgebauten Militärflugzeuge starten und landen in Johannisthal. Der unfallfreie Flugbetrieb der DLR-Maschinen während der folgenden Wochen ist maßgeblich für den Ausbau der Zivilluftfahrt. Die Produktion von Passagiermaschinen knüpft an die rasante Entwicklung des Motorflugs während der Kriegsjahre an. Als erstes Ganzmetallflugzeug und erstes Verkehrsflugzeug mit Doppelsteuer für zwei Piloten, aber nur vier Sitzplätzen für Passagiere wird die Junkers F13 vorgestellt, ein Eindecker und Tiefdecker, der von 1919 bis 1932 gebaut wird.
Der Vorschlag, das Tempelhofer Feld dauerhaft zum Flugplatz zu machen, ist erstmals für das Jahr 1910 nachgewiesen. Doch hat zu diesem Zeitpunkt noch der Wohnungsbau Vorrang vor anderen Nutzungen. Und das Kriegsministerium ist auch gar nicht bereit, sich gänzlich von dem Gelände zu trennen; es verkauft nur den westlichen Teil zwischen dem heutigen Tempelhofer Damm und der General-Pape-Straße. Erst das große Interesse der aufstrebenden Luftfahrtgesellschaften an einem stadtnahen Flughafen bringt die Veränderung. Die Stadt Berlin kauft den östlichen Teil des Areals und durch den einfallsreichen wie unermüdlichen Einsatz von Leonhard Adler, Berliner Stadtbaurat für das Verkehrswesen, beginnt am 8. Oktober 1923 der Flugbetrieb auf dem behelfsmäßig hergerichteten „Flughafen Tempelhofer Feld“.
St. Endlich, M. Geyler-von Bernus, B. Rossié
Literatur
Bezirksamt Tempelhof von Berlin (Hrsg.), Landing on Tempelhof. 75 Jahre Zentralflughafen – 50 Jahre Luftbrücke, Ausstellungskatalog, Berlin o. J. (1998)
Deutsche Lufthansa (Hrsg.), Deutsche Luftfahrt. Ein historisches Kaleidoskop, o. O. 1975
Museum für Verkehr und Technik (Hrsg.), Hundert Jahre deutsche Luftfahrt. Lilienthal und seine Erben, Güthersloh/München 1991
Frank Schmitz, Flughafen Tempelhof. Berlins Tor zur Welt, Berlin 1997
Werner Schwipps, Riesenzigarren und fliegende Kisten. Bilder aus der Frühzeit der Luftfahrt in Berlin, Schriftenreihe des Museums für Verkehr und Technik, Berlin 1984