Architektur des Flughafens
Der in der Zeit des Nationalsozialismus geplante und fast fertiggestellte Flughafen Berlin-Tempelhof sollte als „Weltflughafen“ dem damals neuesten Stand des Flughafenbaus entsprechen, zugleich aber auch der propagandistischen Selbstdarstellung des NS-Regimes dienen.
Baugeschichte
Bereits zu Beginn der 1930er Jahre war der Vorgängerbau, der von 1923 bis 1929 in mehreren Etappen auf dem Gelände des Tempelhofer Feldes angelegte Flughafen, aufgrund des rasant wachsenden Passagieraufkommens an die Grenzen seiner Kapazität und seiner technischen Möglichkeiten gestoßen. Er bedurfte dringend einer Erweiterung. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 begannen Planungen, die von Adolf Hitler vorangetrieben wurden. 1934 veranlasste er den Ausbau des Flughafens und stellte die Weichen für eine doppelte Nutzung als Zivil- und Militärflughafen. Zuvor hatte er bereits die städtebauliche Anbindung an die Nord-Süd-Achse festgelegt, die er schon früh im Rahmen seiner Neugestaltungspläne für die Reichshauptstadt in Aussicht genommenen hatte.
Das Reichsluftfahrtministerium unter Leitung von Hermann Göring übernahm die Finanzierung und wurde Bauherr des Projekts. 1935 erhielt Ernst Sagebiel den Auftrag für den Entwurf des neuen Flughafens, nachdem es zuvor Planungen in Verantwortung der Berliner Flughafengesellschaft gegeben hatte. Sagebiel, dessen Tätigkeit beim Reichsluftfahrtministerium Ende 1933 begonnen hatte, machte dort rasch Karriere mit zahlreichen Bauten für die Luftwaffe und war insbesondere mit der Planung des Reichsluftfahrtministeriums hervorgetreten. Im Frühjahr 1936 war Baubeginn für den Flughafen Tempelhof. Nach zunächst zügigen Fortschritten – im Jahr des Richtfests 1937 wurde bereits der erste Gebäudeteil bezogen – kamen die Bauarbeiten kriegsbedingt zum Erliegen. Die für das Jahr 1939 vorgesehene Eröffnung konnte nicht mehr erfolgen.
Die Anlage
Die Flughafen-Anlage wird aus der Ellipse des Flugfelds und einem imposanten, an ihrem nordwestlichen Rand angeordneten Gebäudekomplex gebildet. Die gesamte Anlage ist axial auf Karl Friedrich Schinkels Kreuzbergdenkmal von 1821 ausgerichtet, in der NS-Zeit ein Ort völkischer Sonnwendfeiern. Ursprünglich war sogar eine architektonische Verbindung zwischen Flughafen und Denkmal durch eine vom Kreuzberg herabführende Kaskade geplant. Der Wasserfall sollte, flankiert von zwei Obelisken, an dem Platz vor dem Flughafengebäude enden. Hier war eine prunkvolle Brunnenanlage vorgesehen. Die Absicht, darüber hinaus eine direkte Anbindung an die geplante Nord-Süd-Achse herzustellen, wurde bereits in der Planungsphase aufgegeben.
Der Gebäudekomplex besteht aus verschiedenen hintereinander gestaffelten Bauteilen: Die ursprünglich kreisförmig geplante Platzanlage ist von viergeschossigen Flügelbauten umgeben, die unter anderem die Verwaltungen der Deutschen Lufthansa und der Berliner Flughafen-Gesellschaft sowie Abteilungen des Reichsluftfahrtministeriums aufnehmen sollten. Die Bauten umschließen einen Vorhof von 90 Metern Länge, der zu dem monumentalen Empfangsgebäude hinleitet. Auf diesen Querbau folgt das längsgerichtete, 18 Meter hohe Abfertigungsgebäude. Den Abschluss der Bauten bildet der 1.230 Meter lange, durch wehrhaft wirkende Treppentürme gegliederte Bogen der Flugzeughallen und des Flugsteigs. Für die bemerkenswerte Bogenform der Anlage gab es Vorbilder, unter anderem Wettbewerbsentwürfe für den Vorgängerbau des Flughafens Tempelhof und für den Flughafen München-Oberwiesenfeld aus den 1920er Jahren sowie das von 1926 bis 1928 nach dem Entwurf von Friedrich Dyrssen und Peter Averhoff errichtete Empfangsgebäude des Flughafens Hamburg-Fuhlsbüttel.
Monumentalität und Moderne
Charakteristisch für die Architektur des Flughafens Tempelhof ist die Ambivalenz von Monumentalität und Moderne. Alle der Stadt zugewandten Fassaden sind mit Naturstein aus Tengener Muschelkalk verkleidet, die Fenstereinfassungen und Gesimse setzen sich durch helleren Jurakalkstein ab. Der Schauseite verleihen darüber hinaus Eingangsvorbauten, Laubengänge, die blockhafte Anordnung der Fenster sowie Skulpturen und Reliefs einen repräsentativen Charakter. Getragen werden die Bauten jedoch von einer damals hochmodernen Stahlbetonskelett-Konstruktion, die von der schweren Natursteinfassade verdeckt wird.
Auf der von der Stadt abgewandten, zum Flugfeld weisenden Seite dagegen ist die moderne, hier reine Stahlkonstruktion des Hallenbogens offen sichtbar. Der 380 Meter lange Flugsteig in seiner Mitte und die seitlich anschließenden Hangars werden von einer technisch avancierten Kragkonstruktion stützenfrei überdeckt. Obwohl die NS-Propaganda das „Neue Bauen“ anfeindete, folgten Industrie- und Verkehrsbauten in jener Zeit durchaus in Materialwahl und Bautechniken den Prinzipien der Neuen Sachlichkeit. Nur für die Außenwirkung wichtige Gebäude-Partien, wie Fassaden und Eingangsbereiche, wurden dem nationalsozialistischen Repräsentationswillen entsprechend monumental und zugleich traditionalistisch gestaltet.
Im Inneren der Flughafen-Bauten kommt diese Ambivalenz ebenfalls zum Ausdruck. So waren einerseits von Funktionalität geprägte, sachliche Bürotrakte vorgesehen, andererseits Räume mit monumentaler Wirkung wie die Empfangshalle mit ihrer gewaltigen Höhe. Auch die nicht fertiggestellte Abfertigungshalle hätte durch ihre Wandpfeiler, einen Marmorfußboden und eine Freitreppe mit massigen Skulpturengruppen ein repräsentatives Erscheinungsbild erhalten. Innen und außen sollten die Bauten mit Skulpturen, Reliefs, Mosaiken und Glasmalereien aufwendig künstlerisch gestaltet werden. Von diesem Kunstprogramm wurden Wandbilder und Fenster in den Rundbauten ausgeführt. Walter E. Lemcke, ein in der NS-Zeit viel beschäftigter Künstler, schuf die circa sechs Meter hohe martialische Skulptur eines Adlers auf einer Weltkugel mit wuchtigem Hakenkreuz, die auf dem Dach des Empfangsgebäudes thronte. Für die Fassaden der Bauten am runden Platz gestaltete er zeittypische, aggressiv anmutende Adlerreliefs.
Der nicht vollendete Flughafen
Wegen des Zweiten Weltkriegs konnten wichtige Elemente des Flughafenbaus nicht mehr fertig gestellt werden. Unvollendet blieben etwa die Treppentürme, die als Zugänge für die auf dem Dach der Anlage geplanten Tribünen für mehr als 80 000 Zuschauer dienen sollten, unter anderem bei den von Hitler geforderten Flugschauen der Luftwaffe. Auch die geplante Kaskade, der westliche Teil der großmaßstäblichen Einfassung des Kreisplatzes mit Verwaltungsbauten und der Kontrollturm konnten nicht mehr realisiert werden. Während des Krieges dienten die Hangars und der das Gebäude unterquerende Bahntunnel der Rüstungsproduktion. Die „Weser“ Flugzeugbau GmbH produzierte dort unter Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter Kampfflugzeuge, insbesondere das Sturzkampf-Flugzeug Ju 87. Der Flugbetrieb wurde bis zum Ende des Krieges über den inmitten des neuen Rollfeldes gelegenen alten Flughafen aus den 1920er Jahren abgewickelt, dessen von Bomben getroffene Gebäude in der Nachkriegszeit abgerissen wurden. Im April 1945 besetzte zunächst die sowjetische Armee den Flughafen Tempelhof, die ihn im Juli an die amerikanischen Alliierten übergab. Erst dann wurde der Flugverkehr in den nicht wesentlich beschädigten und nun schrittweise ausgebauten neuen Flughafen-Anlagen aufgenommen.
St. Endlich, M. Geyler-von Bernus, B. Rossié
Literatur
Elke Dittrich, Ernst Sagebiel. Leben und Werk 1892 - 1970, Berlin 2005
Elke Dittrich, Der Flughafen Tempelhof in Entwurfszeichnungen und Modellen 1935 - 1944, Berlin 2005
Gabi Dolff-Bonekämper, Berlin Tempelhof, in: Berlin-Tempelhof, Liverpool-Speke, Paris-Le Bourget. Années 30 Architecture des aéroports, Airport Architecture of the Thirties, Flughafenarchitektur der dreißiger Jahre, Paris 2000, S.32 – 61
Monatshefte für Baukunst und Städtebau, 22, 1938, S.81-96; Der Weltflughafen Tempelhof; Die Bauten des Tempelhofer Flughafens; Die Stahlkonstruktion des Flugsteiges und der Flugzeughallen
Wolfgang Schäche, Der „Zentralflughafen Tempelhof“ in Berlin, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1996, Berlin 1997, S.151-164