Zwangsarbeiter

Der Zweite Weltkrieg, der im September 1939 mit Deutschlands Überfall auf Polen begann, verhinderte die Fertigstellung des Tempelhofer Flughafen-Neubaus. Das bisher Gebaute wurde zum kriegswichtigen Standort des deutschen Flugzeugbaus und der östlich angrenzende Bereich des neuen Flugfeldes zum Barackenlager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den besetzten Ländern.

Rüstungsproduktion im Flughafen Tempelhof

Gemäß einer Anordnung des Reichsluftfahrtministeriums vom Dezember 1939 verlegte die „Weser“ Flugzeugbau GmbH, deren Stammwerk wegen ausgedehnter Kriegsproduktion überlastet war und zudem in einer vor Luftangriffen ungeschützten norddeutschen Küstenregion lag, zunächst Teile, dann den Hauptteil ihrer Flugzeugproduktion von Lemwerder nach Berlin-Tempelhof. Hier konnten die Maschinen auch gleich aufs Rollfeld gelangen und starten. Im Zentrum der Produktion stand die Großserienherstellung des neuen Sturzkampf-Flugzeuges Ju 87, ein leichter Bomber, spezialisiert auf den Sturzflug-Angriff von Punktzielen. Im Blick zurück auf die NS-Zeit sind die „Stukas“ eng mit den Anfängen des Zweiten Weltkriegs und der „Blitzkrieg“-Strategie, später mit der Abwehr der näher rückenden sowjetischen Panzer verbunden. Daneben wurden auf dem Tempelhofer Flughafengelände in großem Umfang Umbauten und Reparaturen an Kriegsflugzeugen vorgenommen.

Die „Weserflug“ gehörte zum Bremer Großkonzern „Deutsche Schiffs- und Maschinenbau AG“ (Deschimag), der  gleichzeitig auch seine Produktion auf den Bau von Kriegsschiffen umstellte. Hermann Göring, Reichsluftfahrtminister und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, hatte  bei der Produktionsverlagerung der „Weserflug“ nach Tempelhof die Schlüsselstellung inne: als Chef des nun zum „Fliegerhorst“ umfunktionierten gesamten Flughafengeländes und als Auftraggeber für die „Stukas“. Sein Cousin und enger Vertrauter Herbert L.W. Göring war Aufsichtsratsvorsitzender und Großaktionär der „Weserflug“.

Das Berliner Werk  übernahm im Januar 1940 zunächst die Hallen und weitere Baulichkeiten des alten Flughafens. Kurze Zeit später bezog sie die riesige Hangar- und Flugsteiganlage des Neubaus und deren Untergeschosse. In den östlichen Hallen und im Flugsteig A richtete man Taktstraßen und Fließbänder zur Serienproduktion ein, die westlichen dienten der Einzelteilfertigung. Hinzu kamen Büroräume und Werkstätten, teilweise in den Hangars selbst eingerichtet. Im Zentrum der Produktion standen – vor allem in den Jahren 1943/44 – die etwa 2000 hier gebauten und auf dem Rollfeld getesteten „Stukas“. Daneben wurden Kriegsflugzeuge anderer Typen gebaut, umgerüstet und repariert. 

Die Deutsche Lufthansa AG verlegte bei Kriegsbeginn ihren Flugbetrieb nach Rangsdorf bei Berlin und nutzte zunächst den alten Flughafen, dann zwei Hallen des Neubaus für Reparaturarbeiten an Kriegsflugzeugen. Seit 1940 montierte sie hier das Funkmessgerät „Würzburg“, das bis Kriegsende zur Abwehr von Luftangriffen eingesetzt wurde.

Zwangsarbeit

Mehr als zweitausend ausländische Arbeitskräfte waren 1944 bei der „Weserflug“ auf dem Tempelhofer Flughafen eingesetzt, die meisten von ihnen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den besetzten europäischen Ländern, anfangs oft noch angeworben, später meist gewaltsam hierher verschleppt. Die „Weserflug“ hat, wie die deutsche Luftfahrtindustrie insgesamt, besonders früh und energisch ausländische Arbeitskräfte angefordert und eingesetzt, vor allem aus dem besetzten Polen; andere Produktionsbereiche folgten. Ohne ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wären die nationalsozialistische Kriegswirtschaft und die Versorgung der deutschen Bevölkerung spätestens 1942 zusammengebrochen; sie ersetzten die Männer an der Front – als Fachkräfte wie auch am Fließband in der sich rapide ausdehnenden Rüstungsproduktion, aber auch in Landwirtschaft und Handwerk. Seit Dezember 1938 bis Ende 1943 musste auch eine große Zahl von Juden Zwangsarbeit leisten, die zum „geschlossenen Arbeitseinsatz“ dienstverpflichtet worden waren. Sie waren vor allem in den Rüstungsbetrieben eingesetzt. So arbeiteten im Jahr 1941 in Berlin etwa 20 000 Juden in kriegswichtigen Betrieben, während die jüdische Bevölkerung Berlins, die sich nicht ins Ausland hatte retten können, in die osteuropäischen Ghettos und Vernichtungslager deportiert wurde.

Die ersten ausländischen Arbeitskräfte der „Weserflug“ waren im Herbst 1940 Frauen aus Polen; 1941 folgten französische Kriegsgefangene und Zivilisten, vor allem Facharbeiter, aus Frankreich, Italien, den Niederlanden, Belgien und der Tschechoslowakei, ab 1942 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter („Ostarbeiter“) und Kriegsgefangene aus der Sowjetunion. Ganz Deutschland war seit Kriegsbeginn von Zwangsarbeitslagern überzogen. Allein auf Berliner Stadtgebiet gab es 1944 mehr als 1000 Lager für mehr als 400 000 Frauen und Männer aus über zwanzig Nationen. Für die „Weserflug“ entstand eine große Barackenanlage am Nordrand des Tempelhofer Flugfeldes.

Auch die Deutsche Lufthansa setzte in ihren Werkstätten und bei der Montage der Radargeräte Zwangsarbeiter aus den besetzten Ländern zur Wartung und Reparatur der Frontflugzeuge ein und brachte sie in Baracken auf dem Gelände unter. Speziell für die serielle Montage der Funkmessgeräte nutzte sie in den Jahren 1940 bis 1942 die Arbeitskraft zwangsverpflichteter Juden.

Arbeits- und Lebensbedingungen

Die Arbeit war hart, der Arbeitsdruck extrem. Die wechselnden Tag- und Nachtschichten dauerten mindestens zwölf Stunden; der den angeworbenen „freien Zivilausländern“ versprochene Urlaub wurde meist gestrichen. „Unfreie Zivilausländer“ vor allem aus den besetzten osteuropäischen Ländern mussten noch länger arbeiten, manchmal bis zu 36 Stunden. Sie waren der Willkür der Vorgesetzten ausgeliefert und erhielten geringe oder gar keine Entlohnung. Wenn sie sich widersetzten, folgten Schläge, Gestapo-Verhöre und oft die Einweisung in ein „Arbeitserziehungslager“. Untergebracht waren die Zwangsarbeiter vor allem in einem großen, mehrfach erweiterten Barackenlager-Komplex, der unmittelbar im Anschluss an das neue Flughafengebäude errichtet wurde. Vier der schließlich etwa zwanzig Unterkunftsbaracken wurden von der „Deutschen Lufthansa“ genutzt; hinzu kamen Verpflegungs- und Krankenbaracken. Ein kleinerer Barackenkomplex der „Weserflug“ entstand weiter südlich am Tempelhofer Damm. Östlich des alten Flughafengebäudes befanden sich die Umkleidebaracke für die jüdischen Zwangsarbeiter und – einen Kilometer von den Neubau-Hallen entfernt – die einzige Toilette, die sie benutzen durften. 

Das Barackenlager war mit Stacheldraht umzäunt und wurde mit Maschinengewehren und Scheinwerfern kontrolliert. Eingesperrt waren auch die osteuropäischen Zivilarbeiter, denen bei der Anwerbung noch Arbeit in Freiheit versprochen worden war. Zudem waren die unterschiedlichen Gruppen innerhalb des Lagers durch Zäune voneinander getrennt. Man lebte auf engstem Raum und schlief in verwanzten Holzbetten auf Strohsäcken. Die Verpflegung reichte nicht aus, um bei Kräften zu bleiben. Viele wurden krank, aber nur unzureichend oder gar nicht medizinisch versorgt.

Kriegsende

Schwere Bombenangriffe ab Ende 1943 zerstörten die Baracken und die alten Flughafengebäude; der Neubau mit seinen Stahl- und Stahlbeton-Konstruktionen hingegen blieb weitgehend intakt. Die „Weserflug“ verlegte wichtige Fertigungsbereiche in Tunnel- und U-Bahn-Anlagen unter und neben der Flughafenanlage; im Lauf des Jahres 1944 wurden die Produktion und die Zwangsarbeit weitgehend in andere Regionen verlagert, so in die unterirdischen Anlagen im böhmischen Rabstein, wo auch KZ-Häftlinge eingesetzt waren. Den Betrieb in Tempelhof stellte man jedoch erst am 25. April völlig ein, wenige Tage vor der Eroberung des Flughafens durch sowjetische Truppen.

Die lange erhoffte Rückkehr nach der Befreiung war für die osteuropäischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen mit Enttäuschungen und Entbehrungen verbunden. Ihre Leiden fanden keine öffentliche Anteilnahme. In der stalinistischen Sowjetunion galt Überleben im Deutschen Reich als Kollaboration und als Verrat am „Großen Vaterländischen Krieg“. Viele litten ihr Leben lang an körperlichen und seelischen Folgen der Zwangsarbeit. Die bundesrepublikanischen Entschädigungszahlungen kamen oftmals zu spät und waren kaum mehr als ein Zeichen der Anerkennung. Seit den 1990er Jahren haben die Historikerinnen und Historiker der Berliner Geschichtswerkstatt die Geschichte der „vergessenen Lager“ erforscht und versucht, Kontakte zu den Überlebenden herzustellen. Weitere Informationen bietet seit 2006 das Dokumentationszentrum NS Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide am Ort des einzigen erhaltenen Berliner Barackenlagers.

 

St. Endlich, M. Geyler-von Bernus, B. Rossié

Literatur

Lutz Budraß, Die Lufthansa und ihre ausländischen Arbeiter im Zweiten Weltkrieg, Hrsg.: Deutsche Lufthansa AG, Frankfurt am Main 2001

Matthias Heisig, Der Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter für die „Weser“ Flugzeugbau GmbH auf dem Flughafen Tempelhof 1940-1945. In: Arbeitskreis Berliner Regionalmuseen (Hrsg.), Zwangsarbeit in Berlin 1938-1945, Berlin 2003

F.-Herbert Wenz, Flughafen Tempelhof. Chronik des Berliner Werkes der „Weser“ Flugzeugbau GmbH Bremen, Lemwerder 2000